Die Ursache von Diskriminierung im Recruiting: Unconscious Bias
Lasst uns ein bisschen ausholen:
Grundlage für all die Überlegungen zur anonymen Bewerbung ist die Forschung zu unconscious bias - übersetzt "unbewusste Verzerrungen".
Unconscious Bias sind Ergebnis aus der Art, wie unser Gehirn funktioniert - denn es hat grundsätzlich das Ziel, ressourcenschonend zu arbeiten, und nimmt daher öfter mal gedankliche Abkürzungen. Wer dazu etwas mehr lesen möchte, dem lege ich das Buch "Thinking, Fast and Slow" von Daniel Kahnemann ans Herz.
Diese Abkürzungen führen dazu, dass wir zum Beispiel Menschen, die uns ähnlich sind, immer ein bisschen sympathischer finden, als andere (Affinity-Bias). Sie sorgen auch für Stereotype, die bewirken, dass wir mit einem CEO eher einen großen Mann als eine zierliche Frau verbinden. Und eben dafür, dass es immer noch mehr Stefans, Christians, Michaels, Markusse und Thomasse in deutschen Vorstandsetagen gibt, als Frauen (hier gibt es noch mehr zum Thomas-Kreislauf.)
Kurz gesagt: eine anonyme Bewerbung führt zu weniger Diskriminierung, da sie unconscious Bias verringert oder ganz verhindert.
Das ist einerseits gut für die Kandidat*innen, die nun alle gleiche Chancen haben, bei passender Qualifikation den Job auch zu bekommen.
Studien zeigen zum Beispiel, dass Menschen mit einem ausländischen Namen selbst bei vergleichbarer Qualifikation bis zu 30% seltener zu einem Interview eingeladen werden.
Aber auch für die Unternehmen ist das von Vorteil, denn sie übersehen weniger Menschen, die vielleicht perfekt passen. Und haben so die Chance, diversere Personen ins Unternehmen zu holen. Doch dazu mehr im Kapitel "Vorteile der anonymen Bewerbung".
anonyme Bewerbung in der Praxis
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat bereits 2011 einen Pilotversuch für die anonyme Bewerbung durchgeführt, und folgend auch einen entsprechenden Leitfaden veröffentlich. Die Aufforderung lautet: "Anonym bewerben. Weil Qualifikation zählt."
Trotzdem wird in Deutschland die anonyme Bewerbung bisher nur selten eingesetzt, schlimmer noch: das Bewerbungsfoto ist immer noch in den meisten Recruiting-Prozessen Standard - und viel zu oft (wenn auch selten offen zugegeben) Bewertungskriterium für den "Cultural Fit".
In den USA und Kanada hingegen sind anonyme Bewerbungen seit den 60er Jahren weit verbreitet, auch als Reaktion auf die rechtliche Lage und der Höhe der Schadenersatz-Zahlungen und Bußgelder bei nachgewiesener Diskriminierung.